Also, ich liebe meinen Mann – das mal vorweg – aber die gemeinsamen Urlaube mit ihm sind mehr zum Abgewöhnen. Wenn ich in diesen – nachfolgend ausführlicher anhand von Beispielen beschriebenen Situationen stecke – denke ich jedesmal ernsthaft über Scheidung nach. Da jede Situation bisher aber glimpflich abgegangen ist, und ich nach mehrmaligem drüber schlafen dann auch drüber lachen kann, bin ich natürlich immer noch mit ihm verheiratet …
Ich bringe da mal ein paar Beispiele:
Nordsee, Esens, Herbstferien 2003
Herbstferien. Der Plan war, eine Woche an die Nordsee. Wir waren zu Siebt. Meine Familie (4 Personen) meine Eltern und mein Neffe (7 Jahre). Wir reisten Samstags an und wollten bis zum darauffolgenden Samstag bleiben. Das Wetter sollte die ganze Woche trocken und Indian-Summer-mässig sein. Es war ein wirklich schöner Urlaub. Bis zu dem Tag, an dem wir beschlossenen, eine Radtour zu machen. Blöderweise war das bereits der Sonntag.
Während wir beim Fahrradverleih 4 Fahrräder und 1 mit Stützrädern ausliehen, beschlossen meine Eltern, die Zeit unserer Abwesenheit mit einem gemütlichen Spaziergang zu verbringen. Wie Weise!
Na ja. Es fing ganz gut an. Unser erstes organisatorisches Gespräch nach Erhalt der Räder drehte sich um die Verpflegung. Der ungefähre Wortlaut meines Mannes war: „Proviant…? Unnötig! Hier kann man doch überall etwas kaufen.“ Also gut. Zwar steckte ich trotzdem ein paar Kekse und Getränke ein, was mir ein Kopfschütteln seitens meines Mannes einbrachte, aber im Gegensatz zu ihm verbrachte ich den Großteil meines Tages nun mal mit Kindern. Und zwar mit denen, die wir auch hier dabei hatten…
Wir fuhren also gut gelaunt los. Auf einem Radweg parallel zur Straße. Er vorne, die Kinder in der Mitte, ich hinten. Das ging eine ganze Weile so. Manchmal vergrößerte der Radweg den Abstand zur Straße, aber wir verloren sie nie ganz aus den Augen. Nach einer Weile wurde genau dieser Tatbestand meinem Mann zu langweilig. Er schwenkte plötzlich nach rechts in einen Waldweg. Da er eine Karte des Radverleihs hatte und ich davon ausging, er wäre im Vollbesitz … äh… er handele mit vollem Überblick fuhr ich – ebenso wie die Kids – brav hinter ihm her.
Anfangs war dieser Waldweg auch sehr gut zu befahren. Und es war eindeutig entspannender für die Augen, herbstverfärbten Bäumen im Wald zu begegnen, als bunten Autos auf grauem Teer.
Je tiefer wir in diesen Wald fuhren, und wir fuhren ja nicht stur geradeaus sondern hier mal nach links, da mal nach rechts, wurde der Weg immer schwerer, tiefer, nasser. Wie das nun mal so ist, kommt nach spätestens 1 Stunde das erste Kind mit „Ich muss mal Pipi“ oder „Ich habe Durst“ oder „Ich habe Hunger“ oder, wie bei unserem Max auf seinem Stützräderrad ohne Gangschaltung: „Ich kann nicht mehr.“ Wir hielten an. „Pause!“
Mein kleiner Proviantvorrat war innerhalb Sekunden verputzt. Interessanterweise hatte auch mein Mann nichts gegen einen Schluck zu Trinken. Dabei habe ich festgestellt: Je größer der Mensch – desto größer der Schluck.. Mein Mann ist 1,86 m. Nunja, die Kinder waren ja klein…
Dann ging es weiter. Inzwischen war ich auf folgenden Informationsstand gebracht worden: wir fuhren NICHT nach dem laut Karte vorgeschlagenem Radweg. Wir fuhren, wie man so schön sagt, Quer-Feld-Ein. Das fand ich schwierig, denn zum Einen war der Weg alles andere als verlockend, um ihn weiter zu befahren und zum Anderen kam ich mir schon jetzt vor wie Lost-in-forrest. In solchen Situationen wandelt sich meine ansonsten optimistische Natur ins Gegenteil. Ich vermute, dass genau dieses, das sogenannte Zweite Gesicht beim Sternzeichen Zwilling ausmacht. Jedenfalls sah ich mich vor meinem inneren Auge schon Hänsel-und-Gretel-like irgendwo im Wald hockend, weinende, hungrige und durstige Kinder an mir hängend, frierend die Nacht verbringend. Schüttel.. keine schöne Vorstellung. Aber Meckern und Heulen und weiteres Schwarzsehen nützte nichts.
Ich bestand aber darauf, jetzt so zu fahren, dass wir wieder der Zivilisation näher kamen. OK. Er sah sich kurz prüfend um, als würde er anhand der Bäume die rund um uns herum standen erkennen können, welches der kürzeste Weg zurück zur Straße war und schlug dann ganz zielsicher eine Richtung ein.
Da ich zwar „gelernter“ Pfadfinder der Deutschen Pfadfinderschaft St. Georg (DPSG) bin, aber leider vom Schöpfer nicht mit Orientierungssinn bedacht wurde, schlug ich das Bauchgefühl, mit dem mir mein Körper irgendetwas sagen wollte, in den Wind und folgte meinem Mann, wie es schon vor mir Jahrtausende die Weiber ihren Männern nach getan haben, und ich vor etwa 2 Stunden damit angefangen hatte.
Der Wald wurde immer dunkler, der Weg immer schlechter. Die Kinder immer quengeliger. Verständlicherweise. Ich hätte mich gerne angeschlossen.
Auf diesem Waldweg, wenn man diese zwei Fahrrillen denn noch so bezeichnen konnte, mußte noch am Tag vorher mit schwerem Gerät Waldarbeiten durchgeführt worden sein. Die Spuren waren so tief, dass die kleinen Räder von Max Fahrrad komplett drin verschwanden.
Und Max war der, der jetzt absolut nicht mehr wollte; weil er auch nicht mehr konnte.
Wir konnten im übrigen auch nicht wirklich mehr fahren. Also schulterte ich das Kinderrad, nahm mein Rad, versuchte Max zu animieren, wenigstens zu laufen, mein Mann beförderte das Rad meines Neffens uns sein Eigenes und unsere Tochter Nina musste mit ihren 9 Jahren ihr Rad selber irgendwie bewegen.
Ich vermute, wir haben einen sehr traurigen Anblick geboten. Oder einen lächerlichen. Dieses war so ein Moment, über den ich ganz intensiv, bei jedem Schritt sozusagen, über Scheidung nachdenken konnte.
Da niemand mehr ein Wort redete – mal abgesehen von dem heulenden gequängel des Nachwuchs, wurde man dabei auch nicht abgelenkt und die Wut konnte sich mit jedem Schritt mehr ausbreiten.
Nach Minuten und Minuten die verstrichen während wir in den Spurrinnen des Waldarbeiterfahrzeugen wandelten, heulenden Kindern die inzwischen auch den letzten Funken Spaß an dieser „Abenteuerradtour“, wie mein Mann diese Aktion nannte, verloren hatten, nach kräftezehrenden Fahraddoppeltransporten, hörten wir dann plötzlich wieder Autogeräusche.
Hurra! Zivilisation! Trinken! Duschen! Wobei letzterer Gedanke wohl nur durch meinen Kopf blitzte.
Und dann irgendwann kamen wir tatsächlich aus dem Wald heraus. Der Spurrinnen führte uns direkt zu einem Bauernhof, auf dessem bewaldeten Gelände wir uns wohl in der letzten Stunde bewegt hatten. Der Bauernhof verfügte aber auch noch über einen Weg – nämlich den zurück zur Straße.
Da Max sich weiterhin hatnäckig weigerte, sein Fahrrad selber zu bewegen, blieb mir nichts anderes übrig als seins und meins nebeneinander zu rollen. Entweder schlug mir rechts ein Pedal in die Hacken oder Links ein Stützrad. Diese nach Links unten gebeugte Haltung über mehrere 100 Meter trug auch nicht sehr zur Steigerung meiner Laune, meines Wohlbefindens und noch nichtmal der allgemeinen Erheiterung bei.
Irgendwann hatten wir auch ein Ortsschild gefunden, nachdem wir uns anhand der Karte orientieren konnten. Und nach einer weiteren Weile, inzwischen sassen wieder alle auf ihre Drahteseln und bewegten sie selbst, kamen wir an einem Cafe vorbei. Hier gab es dann erstmal was zu Essen und zu Trinken gab.
Danach sah die Welt schon wieder viiiiiiiel besser aus. Und der Rest des Weges wurde dann ohne weitere Erlebnisse auf direktem und kürzestem Wege zurück gelegt. Ich weiß noch, dass am Abend keins der Kinder bettelte, noch ein bischen aufbleiben zu dürfen.
Und: Ich brauche wohl nicht weiter zu erwähnen, dass in diesem Urlaub keines der Kinder noch einmal Interesse daran hatte, eine Radtour mit uns zu machen.